Fachbeitrag von Dr. iur. Felix Horber

Das Foto ist eine Impression von der Nimbus Konferenz. Diese fand am 24.10.2023 im Swiss Re Auditorium zum Thema «Ist die physische Generalversammlung ein Auslaufmodell?» statt.
Erste Nimbus Konferenz – 24.10.2023
25. Oktober 2023
Das Bild zeigt die zwei Nimbus Newcomer Sabrina Müggler und Gergö Dusza im lockeren Gespräch mit CTO Daniel Stucki in der Nimbus Cafeteria.
Neue Mitarbeitende bei der Schweizer Software-Schmiede Nimbus AG
1. Dezember 2023
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Fachbeitrag von Dr. iur. Felix Horber

  • Das Bild zeigt die Stimmung an der ersten Nimbus Konferenz und dient als Illustration des Blogartikels von Dr. iur. Horber: Neues Aktienrecht – sind offene Abstimmungen bei kotierten Gesellschaften noch zulässig?

    Bildstrecke der Nimbus Konferenz 2023

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Neues Aktienrecht – sind offene Abstimmungen bei kotierten Gesellschaften noch zulässig?

1. Ausgangslage und Problemstellung

Das neue Aktienrecht, welches am 1. Januar 2023 in Kraft getreten ist, schreibt in Art. 702 Abs. 5 OR vor, dass kotierte Aktiengesellschaften die Beschlüsse und Wahlergebnisse unter Angabe der genauen Stimmenverhältnisse innerhalb von 15 Tagen nach der Generalversammlung auf elektronischem Weg zu publizieren haben.

Diese neue Bestimmung könnte den Schluss nahelegen, dass inskünftig offene Abstimmungen, bei denen aufgrund klarer Mehrheitsverhältnisse auf die präzise Ermittlung der Stimmenverhältnisse verzichtet wird, nicht mehr zulässig sind.


2. Beurteilung

a) Begriffliche Klarstellungen
Bevor auf die einzelnen Szenarien eingegangen wird, ist begrifflich zu klären, was unter einer offenen Abstimmung zu verstehen ist. Offene Abstimmung im hier verstandenen Sinne meint, dass Beschlussfassungen und Wahlen mittels Handerheben getroffen werden. Dies kann mit oder ohne Auszählung sämtlicher Stimmen erfolgen. Falls sämtliche Stimmen ausgezählt werden, lassen sich – wie bei einer elektronischen Abstimmung – die genauen Stimmenverhältnisse eruieren, womit die Vorgaben von Art. 702 Abs. 5 erfüllt sind. Falls nicht sämtliche Stimmen ausgezählt werden, weil klare Mehrheitsverhältnisse vorliegen (1) bzw. die wenigen Nein-Stimmen oder Stimmenthaltungen nicht ins Gewicht fallen, liegt kein präzises Abstimmungsresultat im Sinne von Art. 702 Abs. 5 OR vor. Die Versammlungsleitung hält in solchen Situationen zuhanden des Protokolls fest, dass die Generalversammlung dem Antrag mit «überwiegendem Mehr» oder «grossmehrheitlich» zugestimmt hat.

(1) Dies ist bspw. dann der Fall, wenn ein Mehrheitsaktionär vorhanden ist oder wenn die Vertreter grosser Aktienblöcke bekannt sind und diese allesamt zustimmen oder wenn im Saal nur ein geringer Prozentsatz des vertretenen Aktienkapitals physisch präsent ist und der Löwenanteil der Aktienstimmen durch den unabhängigen Stimmrechtsvertreter vertreten wird und dieser grossmehrheitlich instruiert wurde, mit Ja abzustimmen.

b) Übergangsrechtliche Überlegungen
Bei der Frage, ob offene Abstimmungen ohne Ermittlung des präzisen Abstimmungsergebnisses auch unter dem Regime des neuen Aktienrechts zulässig sind, gilt es zu differenzieren, und zwar in zeitlicher Hinsicht.

aa) Rechtssituation bis Ende 2024
Gesellschaften, die derzeit in ihren Statuten oder Reglementen Bestimmungen aufführen, die dem neuen Art. 702 Abs. 5 OR widersprechen, müssen diese gemäss Art. 2 der Übergangsbestimmungen innerhalb von zwei Jahren, d.h. bis 31. Dezember 2024, ans neue Recht anpassen.

Gesellschaften, die in ihren Statuten offene Abstimmungen vorsehen, können demnach in der GV-Saison 2023 und in der GV-Saison 2024 (weiterhin) Beschlüsse und Wahlen mittels offener Abstimmungen, ohne Ermittlung des präzisen Abstimmungsergebnisses, durchführen. Falls elektronisch abgestimmt wird und die Abstimmungsgeräte ausfallen sollten, kann die Versammlungsleitung ohne Weiteres auf die offene Abstimmung im oben dargelegten Sinne umstellen.

bb) Rechtssituation ab 1. Januar 2025
Am 31. Dezember 2024 läuft die zweijährige Übergangsfrist ab. Bestimmungen in Statuten oder Reglementen, die dem eingangs zitierten Art. 702 Abs. 5 OR widersprechen, verlieren ihre Wirksamkeit. Das hat zur Konsequenz, dass eine offene Abstimmung ohne Ermittlung des präzisen Abstimmungsergebnisses nicht mehr zulässig ist. Die Versammlungsleitung hat deshalb entweder eine – was üblicherweise der Fall sein wird – elektronische Abstimmung oder eine schriftliche Abstimmung oder eine offene Abstimmung mit Auszählung sämtlicher Stimmen anzuordnen.


3. Ausfall der elektronischen Abstimmungsgeräte

Wie ist vorzugehen, wenn bei einer elektronischen Abstimmung die Abstimmungsgeräte ausfallen? Kann in einer solchen Situation auf die offene Abstimmung umgestellt werden? (2) Nachdem die kotierten Gesellschaften nach dem neuen Recht die genauen Stimmenverhältnisse bekanntzugeben haben, steht eine offene Abstimmung ohne Auszählung sämtlicher Stimmen – als Ersatz für die elektronische Abstimmung – ab dem 1. Januar 2025 nicht mehr zur Disposition.

Falls die Generalversammlung weitergeführt werden soll, hat die Versammlungsleitung zwei Varianten, die trotz Ausfall der Abstimmungsgeräte eine präzise Auszählung der Stimmenverhältnisse ermöglichen, und zwar mittels schriftlicher Abstimmung.

(2) Der Ausfall der elektronischen Abstimmungsgeräte stellt kein technisches Problem im Sinne von Art. 701f Abs. 1 OR dar, welches die ordnungsgemässe Durchführung der Generalversammlung verunmöglicht, weil Alternativen zur elektronischen Abstimmung bestehen. Ansonsten müsste die Generalversammlung wiederholt werden (vgl. dazu Felix Horber, «GV-Freezing»: Wiederholung einer hybriden oder virtuellen Generalversammlung, Blog Nimbus AG, 10. März 2023).

a) Erste Variante: Erfassung aller Stimmen
Die Versammlungsleitung hat in diesem Fall anzuordnen, dass die Stimmenzähler bei den einzelnen Aktionärinnen und Aktionären die Aktienstimmen erfassen, d.h. bei jedem Traktandum die abgegebenen Ja-Stimmen, Nein-Stimmen und Stimmenthaltungen aufnehmen, entweder durch den Einsatz von Handscannern oder das Einsammeln und Auswerten der Abstimmungscoupons. Falls sich eine Person passiv verhält, sich mithin an der Abstimmung nicht beteiligen will, fallen diese nicht abgegebenen Stimmen bei der Ermittlung des relevanten Mehrs ausser Betracht, sofern die Statuten lediglich auf die abgegebenen Stimmen abstellen. Schriftliche Abstimmungen in Publikumsgesellschaften mit mehreren hundert oder gar tausend Anwesenden sind zeitraubend und können zu erheblichen Verzögerungen im Ablauf der Generalversammlung führen, weil die Stimmen bei jeder Person und bei jedem Traktandum erfasst werden müssen.

Das Ergebnis der Auswertung der Saalstimmen ist zu den Zahlen zu addieren, die der unabhängige Stimmrechtsvertreter vertritt. Die Summe dieser Zahlen reflektiert die genauen Stimmenverhältnisse pro Traktandum, womit die Anforderungen von Art. 702 Abs. 5 OR erfüllt sind.

b) Zweite Variante: Erfassung nur der Nein-Stimmen und Stimmenthaltungen
Bei dieser Variante verzichtet die Versammlungsleitung auf die Auszählung sämtlicher Saalstimmen, sondern lässt nur die Nein-Stimmen und Stimmenthaltungen von den Stimmenzählern aufnehmen (schriftliche Abstimmung «light»), wiederum auch hier durch den Einsatz von Handscannern oder das Einsammeln und Auswerten der Abstimmungscoupons. Konkret heisst das, dass davon ausgegangen wird, dass alle Aktionärinnen und Aktionäre, die nicht mit Nein oder Enthaltung stimmen, zustimmen. Auf die Auszählung der Ja-Stimmen wird verzichtet. Der Ja-Stimmenanteil ergibt sich aus der Differenz zwischen der Zahl der gesamthaft im Saal vertretenen Aktienstimmen und der Summe aus Nein-Stimmen und Stimmenthaltungen. Sollte ein «passiver» Aktionär gar nicht abstimmen wollen, müsste er sich explizit melden und seine Stimmen müssten wohl ebenfalls erfasst werden (als nicht abgegeben). Diese Stimmen müssten von der Summe der Ja-Stimmen abgezogen werden.

Bevor die schriftliche Abstimmung «light» angeordnet wird, ist den Aktionärinnen und Aktionären die Funktions- und Berechnungsweise dieser Abstimmung in allen Einzelheiten transparent darzulegen, damit sie sich ein Bild der Tragweite dieses Auszählungsmodus machen können. Insbesondere ist klarzustellen, dass die Ja-Stimmen nicht einzeln erhoben werden.

Das Ergebnis der Saalstimmen ist, wie bei der ersten Variante, zu den Aktienstimmen zu addieren, die der unabhängige Stimmrechtsvertreter vertritt. Der Vorteil dieser Variante liegt (zumindest bei einem hohen Ja-Anteil) in der viel kleineren Anzahl von Aktionärinnen und Aktionären, bei denen die Aktienstimmen gezählt werden müssen, und der damit verbundenen Zeitersparnis, was sich positiv auf den Ablauf der Generalversammlung auswirkt.

Die Versammlungsleitung kann bei Ausfall der Abstimmungsgeräte – alternativ zur schriftlichen (geheimen) Abstimmung – eine offene Abstimmung anordnen, wobei auch hier eine offene Abstimmung «light» denkbar ist, bei der nur die sichtbaren Nein-Stimmen und sichtbaren Stimmenthaltungen ausgezählt werden, während bei den übrigen Teilnehmenden davon ausgegangen wird, dass sie mit Ja stimmen.


4. Fazit

Offene Abstimmungen ohne Ermittlung des präzisen Abstimmungsergebnisses sind für kotierte Aktiengesellschaften bis 31. Dezember 2024 zulässig. Ab 1. Januar 2025 sind Wahlen und Abstimmungen, um mit den Vorgaben von Art. 702 Abs. 5 OR kompatibel zu sein, mit Vorteil elektronisch durchzuführen. Falls die elektronische Abstimmung nicht (mehr) zur Verfügung steht, kann die schriftliche Abstimmung «light» oder die offene Abstimmung «light» angeordnet werden, wobei bei letzterem Abstimmungsverfahren bewusst auf den «Geheimcharakter» der Abstimmung verzichtet wird.

Gesellschaften, deren Aktien nicht kotiert sind, können weiterhin offen abstimmen, ohne dass die genauen Stimmenverhältnisse erfasst werden.

Dr. iur. Felix Horber, Präsident Advisory Board Nimbus AG